Der Marathon

Nach 5 km bemerkte ich, dass ich den rechten Schuh zu fest geschnürt hatte. Nach 16 km bekam ich richtige Schmerzen am Spann, lockerte den Schuh etwas, doch diese Maßnahme kam zu spät. Doch ich sagte mir, dass mich das nicht aufhalten würde. Ich redete mir einfach ein, mich alle zehn Kilometer entscheiden zu können, ob ich weiterlaufen wollte oder nicht. Und das tat ich, ich entschied mich jede Stunde neu, die nächsten Kilometer noch mitzunehmen. Schließlich hatte ich ja bezahlt, und das Startgeld ist für einen Studentin nicht unbedingt erschwinglich. Mein Anhang (Mutter, Mitbewohner, Praktikums-Chefin und –Kollegen, Elixia-Mitglieder, Freunde) überraschten mich an allen möglichen Stellen mit ihrer Anwesenheit und gaben mir ständig neuen Auftrieb. Mein lieber Coach begleitete mich überall wo es ging mit dem Rad und gab mir ständig ein Elektolyt-Getränk, einen Riegel oder Magnesium. Bei km 27 kamen Rückenschmerzen dazu und ich beschloss, mich nur noch auf die Körperteile zu konzentrieren, die noch nicht weh taten. Ich freute mich jedes Mal darüber, wie viele das noch waren. Kurz vor km 39 dachte ich mir, dass die Schmerzen in den Füßen und im Rücken auch nicht schlimmer würden, wenn ich schneller laufen würde. Und so gab ich Gas. Als wir bei km 40 in den Olympiapark einbogen, überholte ich viele Läufer, die gehen musste. Und ich konnte noch ein wenig Tempo drauflegen. Ich fing an zu lachen, freute mich, es bald hinter mir zu haben, genoß es, von den Zuschauern angefeuert zu werden. Die letzten 500 m läuft man im Spalier und ich fühlte mich toll, war nur am grinsen. Nach dem großen Marathontor läuft man ins Olympiastadion ein. Dann sind es noch 300 m bis ins Ziel. Und ich rannte los und legte einen Endspurt ein. Im Ziel konnte ich nicht glauben, was ich sah: ich hatte nur 4:12 Stunden gebraucht und war der glücklichste Mensch der Welt. Ich liebte alles, hätte jeden Menschen umarmen können.
Die Erfahrung des Marathons ist einzigartig. Und es wird nicht mein letzter gewesen sein. Denn ich habe gelernt, dass alles eine reine Kopfsache ist. Zu 70% läuft man einen Marathon mit dem Kopf. Du musst an dich glauben, dann hat dein Körper keine Chance mehr. Meine Knie sagen seitdem nichts mehr. Keine Schmerzen, nur leichter Muskelkater in den Oberschenkeln. Dieser Lauf hat mir bewiesen, dass jedermann in der Lage ist, alles zu erreichen, was er erreichen will. Er muss nur an sich glauben und hinter seiner Entscheidung stehen. Die Endorphin-Ausschüttung nach einem Marathon entschädigt für alles, was man vorher an Einschränkungen hin nehmen musste, um das Ziel Marathon nicht zu gefährden.

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